Meine Ansprache zum 1. August 2024 in Rohrdorf
Liebe Rohrdorferinnen und Rohrdorfer
Danke für die Einladung zu eurer diesjährigen Bundesfeier. Es ist mir eine besondere Ehre bei euch die Festrede halten zu dürfen. Ein bisschen ein Nachhausekommen nach langer Zeit.
Letztes Jahr durfte ich meine 1. Augustansprache in Möhlin halten. Dort habe ich das erste Jahr an der Oberstufe unterrichtet, meine Sporen abverdient. Mein zweites Lehr- und Wanderjahr absolvierte ich in Niederrohrdorf. Welch ein Zufall! Wenn es so weiter geht, spreche ich nächstes Jahr in Villmergen und dann 13 Jahre nirgends mehr.
Der erste August ist ein ganz besonderer Tag, der Geburtstag der Schweiz, ein Moment der Besinnung, ein Tag zum Inne halten und sich unserer Werte und Traditionen bewusst zu werden, ein Tag zum Feiern und die Sorgen ein bisschen zu vergessen.
Schon in der Präambel der Bundesverfassung von 1848 steht, dass wir in der Verantwortung der Schöpfung sind, dass Freiheit, Demokratie, Unabhängigkeit, Frieden, Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt gestärkt werden sollen. In gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung der Vielfalt soll in der Einheit gelebt werden. Im Bewusstsein der gemeinsamen Errungenschaften und der Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen. Gewiss, dass frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht, und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen.
Diese Präambel hat nichts an Aktualität verloren. Wenn wir zuweilen den Eindruck erhalten, die Welt sei aus den Fugen, uns fragen, ob wir die Zeitung und das Handy überhaupt noch öffnen und Radio und Fernseher überhaupt noch einschalten wollen,ist ihr Inhalt wichtiger denn je.
Euch liebe Rohdorferinnen und Rohrdorfer habe ich schon damals, vor 25 Jahren als innovativ und zukunftsorientiert erlebt. Auch ihr seid eine Willensgemeinschaft. Ihr wart eine der ersten Schulen, die eine Schulleitung installierten. Wie revolutionär. Der Aargau kannte damals noch keine Schulleitungsausbildung. So schickte man Rektor und Co-Rektor kurzum in den Kanton Luzern. Mit neuen Bildungserkenntnissen, Führungsstrategien und Ideen kehrten sie von dort zurück. Das hiess Arbeit für uns. Neue Besen kehren gut und wir wollten. Wir wollten Veränderung, eine moderne Schule sein und zukunftsgerichtet agieren. Die Motivation war gross, zumindest bei mir. Ein Schulleitbild wurde erarbeitet. Gemeinsam wurden Leitsätze ausdiskutiert, verhandelt, niedergeschrieben. Von Toleranz, gegenseitigem Respekt und Akzeptanz war die Rede. Festgehalten und sichtbar gemacht in einem Puzzle. Um ihm den Hauch der grossen weiten Welt und bäuerlicheBodenständig–keit mitzugeben, machte es einen Umweg durchs Fricktal. Auf unserem Hof kriegten die Puzzleteile den nötigen Feinschliff, wurden bunt bemalt und mit den Leitsätzen versehen.
Das Puzzle hing viele Jahre gut sichtbar im Eingang des Oberstufenschulhauses. Die Leitsätze sollten präsent sein, gelebt werden und nicht einfach in der Schublade vor sich hingammeln.
Stillstand ist nicht die Sache der Menschen am Rohrdorferberg. So steht es im Gemeindeleitbild. Durch Innovation und Qualität schaffen die lokalen Industrie-, Gewerbe- und Dienstleistungsbetriebe über 800 Arbeitsplätze sowie zahlreiche Lehrstellen.
Nein, Stillstand ist nicht eure Sache. Ihr könnt es euch wohl auch nicht leisten. Bauernsiedlungen sind grossen Überbauungen gewichen, die als Wohn- und Arbeitsorte dienen und stark gewachsen sind. Ihr arbeitet als Dörfer zusammen und bewahrt dennoch eure eigene Identität. Wie das Puzzle in der Schule, eng verzahnt, einander Halt gebend, divers und farbig, das ist eine Stärke von euch. Ein Abbild davon auch euer facettenreiches Vereins- und Kulturleben und die artenreichen und einzigartigen Moorlandschaften die Lebensraumfür zahlreiche Pflanzen und Tiere wie Erholungsraum für die Menschen bieten.
Eure Gemeinden sind stark gewachsen. Das ist Chance und Herausforderung zugleich. Die Schulanlagen habe ich kaum noch erkannt, die Dörfer auch nicht. Alles ist im Fluss. Das erste Schulleitbild ist längst einem neuen gewichen. Das ist richtig so. Und dennoch gilt es, den Zusammenhalt zu wahren und unsere gemeinsamen Werte nicht aus den Augen zu verlieren. Auch das ist eine stetige Herausforderung und heisst Arbeit. Sich verstehen wollen, einander helfen, füreinander da sein, ein offenes Ohr haben, Schwächere und Andersdenkende mitnehmen. Arbeit, die sich lohnt, wie ich meine. Toleranz und Respekt gegenüber anderen, ein buntes Teil eines Puzzles sein, verzahnt mit den Nachbarn rundherum und doch individuell. Gemeinden, Kantone und Bund, die den Rahmen geben, eine Willensnation.
Liebe Rohrdorferinnen und Rohrdorfer am heutigen ersten August ermuntere ich euch, diese Gemeinschaft zu leben und euren Errungenschaften Sorgen zu tragen. Wen haben wir denn am Ende ausser uns?
Gestern durfte ich einen guten Freund in der Reha besuchen. Er hat einen schweren Unfall überlebt. Welches Glück. Seit über zwei Jahren wohnt eine ukrainische Familie mit vier kleinen Kindern bei uns, dem Krieg entkommen. Kinder, unsere Zukunft.
Solche Geschichten machen mich demütig. Sie machen mich dankbar, für all das, was wir haben. Sei es Gesundheit oder ein funktionierendes Rechtssystem, unsere direkte Demokratie. Ich glaube, wir tun gut daran, ab und an inne zu halten und uns dessen bewusst zu werden. Nichts ist selbstverständlich, vieles ein Luxus. Von einer Sekunde auf die andere kann sich alles im Leben ändern. Seien wir uns bewusst, dass auch wir ein Puzzleteil dieser Gemeinschaft sind, bunt, divers, individuell. Seien wir uns bewusst, dass wir viel erreichen, wenn wir zusammenhalten. Und wir erreichen nicht nur viel, wir können auch mehr aushalten, voneinander profitieren, lernen, aneinander wachsen und den Horizont erweitern. Lassen wir mal die Fünf gerade sein und nehmen uns selbst nicht allzu wichtig. Offenheit, Toleranz und Respekt – die Bundesverfassung hat nichts an Aktualität verloren. Das Schulleitbild auch nicht.
Ich wünsche Ihnen allen einen wunderbaren 1. August, hier an diesem prächtigen Ort. Gäng inand Sorg, hebet zäme und hälfet inand. Prost.