14. April 2023: Ich schminke mich nie, fast nie.
Die Kolumnistin schreibt zu einem selbst gewählten Thema. Sie ist Bäuerin sowie Politikerin und lebt auf einem Milchwirtschaftsbetrieb in Zeihen im Kanton Aargau.
Dezent und gekonnt geschminkte Frauen finde ich schön, sehr schön sogar. Ich bewundere ihre geschickten Hände und ihre Treffsicherheit bei jedem Pinselstrich. Mit dieser Gabe bin ich nicht gesegnet, leider. Deshalb habe ich entschieden, dass ich grundsätzlich aufs Schminken verzichte. Ausser manchmal.
Da war nun dieser grosse Tag. Der Tag des einmaligen und einzigartigen Fotos. Das Bild, das gelingen musste. Der Tag, den man nicht «verhängen» darf, weil man nachher überall hängt. Ich wollte früh am Ort des Geschehens sein, am liebsten niemanden treffen und dann sofort wieder nach Hause fahren.
Nachdem ich die erste Anmeldung nach hinten hatte schie- ben müssen, weil ich um diese Uhrzeit gar nicht vom Dorf in die Stadt gekommen wäre, war ich sicher, dass alles gut würde. Meine Freude wurde abermals getrübt, als mich meine Schwester fragte, ob ich nicht normal wäre, mich am Morgen ablichten zu lassen. Ich würde dann noch sehr, sehr unvorteilhaft aussehen. So etwas müsse man einfach wissen.
Der Schreck über diese Erkenntnis sass tief. Ich konnte mir keine Blösse geben. So sagte ich überzeugt, dass ich
nach der langen Anreise fit wäre und ein rosiges Gesicht hätte. Währenddem ich mich selbst beruhigte, merkte ich, dass ich zu besagtem Termin nur geschminkt erscheinen konnte. Das wiederum musste aber zwingend eine Fachfrau übernehmen. Schliesslich wäre es ein grosser Vorteil, wenn ich dann beim Hängen an den Kandelabern auch erkannt würde.
Die Kosmetikerin wurde gefunden. Welch ein Glück! Das allerdings brachte meine Fahrpläne in ein wildes Durcheinander. Ich konnte nicht mit dem Bus in die Stadt, sondern musste das Auto nehmen. Es gab schlicht keine Verbindung in dieser Herrgottsfrühe. Mein Fahrplan war eng getaktet. In der Stadt dann die Lautsprecherdurchsage, der Zug falle aus. Schweissausbrüche.
Glücklicherweise fuhr ein Ersatz und ich traf pünktlich im Zielbahnhof ein. Alles funktionierte wie am Schnürchen. Eine sympathische Frau brachte Augenlider, Wangen und Lippen auf Vordermann. Ich wurde gesalbt, gepudert, frisiert. Mit gutem Gefühl und voller Dankbarkeit begab ich mich zum Fotografen. Hinstehen, rechts drehen, links posieren, lächeln, Kinn nach oben, Schultern nach hinten … Alles lief wunderbar.
Nach dem Knipsen durfte ich das beste Bild direkt am Bildschirm auswählen. «Ja, Colette, ich finde die Fotos alle gelungen. Es sind Nuancen», meinte die Fachfrau. Und dieses Jahr sind die Porträtfotos ja schwarz-weiss …» Ich hörte nicht mehr richtig zu. Wäre ich nicht geschminkt gewesen, hätte ich mir mit der flachen Hand eins an die Stirn geknallt.
Nach dieser Aktion besuchte ich mit meinem Kollegen ein Kaffee. Dort tranken wir keinen Kaffee …
Ja, ich schminke mich nie, fast nie. Und spätestens jetzt weiss ich warum.