20. Januar 2023: Ich arbeite 100 Prozent
Es war eine dieser Veranstaltungen, eine Generalversammlung, eine, bei der man auch verhocken kann. Was ich eigentlich immer tue. Wenn man sich diesen Ruf angeeignet hat, sollte Frau ihm auch gerecht werden. Finde ich. So begab es sich, dass zu später Stunde noch wichtige Themen gewälzt wurden. Hitzig ging es zu und her in dieser Runde, in der ich die einzige Frau war. «Meine Frau war an ihrer ersten Klassenzusammenkunft und hat sich sehr geärgert», meinte der eine. Ihre ehemaligen Kameradinnen hätten alle geprahlt mit ihren Arbeitsplätzen. Sie sei schräg angeschaut worden, als sie sagte, sie arbeite nicht. Sie wäre nur zu Hause. Enerviert gab ihm ein anderer aus der Runde recht. Es sei doch jeder Familie freigestellt, wie sie sich organisieren würde. Das gewählte Modell müsste doch nur für einen selbst stimmen.
«Meine Frau und ich haben uns bewusst dafür entschieden, dass sie zu Hause bleibt und für die Kinder schaut», meinte er erbost. Gespannt hörte ich eine Weile zu. Schliesslich mischte ich mich ein. Leider ist es mir nicht gegeben, aufs Maul zu sitzen. Wie gesagt, wenn man sich einen bestimmen Ruf … Nun denn, ich gab den Männern insofern recht, als dass ich klar der Meinung bin, dass jede Familie ihr eigenes Familienmodell wählen soll und das niemanden etwas angeht. Aber ich bin nicht einverstanden mit der Aussage: Ich bin halt NUR zu Hause. Oder meine Frau ist nur daheim. Na und? So what? Was macht die Frau denn zu Hause? Arbeiten tut sie. Und wie viel? Vollzeit. Kochen, waschen, putzen, Kinder betreuen, auf dem Hof helfen, vielleicht noch ältere Menschen betreuen … Ich verstehe nicht, wieso sich Frauen rechtfertigen für das, was sie tun oder nicht tun. Ich verstehe nicht, wieso gesagt wird: Ich arbeite nur 40 Prozent. Nein.
Und immer ist damit die Arbeit ausser Haus gemeint. Wir können guten Gewissens sagen, dass wir alle 100 Prozent arbeiten. Vielleicht werden wir nicht für alles entschädigt. Wahrscheinlich kriegen wir auch nicht für alles die nötige Wertschätzung. Dieses Risiko besteht in der Tat. Wenn wir aber stolz unsere Familienmodelle verteidigten, würden diese schrägen Blicke und komischen Fragen ganz schnell aufhören. Die Frauen, die ich kenne, verrichten Schwerstarbeit. Sie sind Hof-, Haus-, Familienmanagerinnen und Eventplanerinnen, Pflegerinnen, Psychologinnen und vieles mehr. Ich bewundere sie und sie haben meinen grossen Respekt verdient. Heldinnen sind sie. Ich wünsche mir, dass wir Frauen selbstbewusst hinstehen und sagen: «Ich arbeite 100 Prozent!» Wo? Das spielt keine Rolle und geht niemanden etwas an.