26. Mai 2023: Wer macht es dann?
Die Kolumnistin schreibt zu einem selbst gewählten Thema. Sie ist Bäuerin sowie Politikerin und lebt auf einem Milchwirtschaftsbetrieb in Zeihen im Kanton Aargau.
Bei uns schneidet ein rüstiger Jungrentner, 82 Jahre alt, die Bäume. Hoch oben in den Baumwipfeln lässt er den Fuchsschwanz über die Äste tanzen. Was früher abenteuerlich aussah, lässt einen heute das Blut in den Adern gefrieren. Am besten schliesst man die Augen. So nach dem Motto: Was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss.
Sitzt oder steht der Pensionär gemütlich auf der Leiter, ist das eine Sache. Erkundet er jede Ritze des Baumes auch dort, wo die Leiter nicht hinkommt, eine ganz andere. Auch die halsbrecherischen Fahrten im überhängenden Gelände sollte man nicht allzu genau verfolgen. Dort werden dann stunden- und tagelang Blaken gestochen und Mäuse bekämpft. In einer Seelenruhe von morgens früh bis abends spät. Oder die Ausfahrt endet auf dem Acker, wo sich ein Stein an den anderen reiht und abgelesen werden will. So als hätten wir dort noch nie auch nur einen einzigen Brocken entfernt. Welche Sisyphusarbeit. Ebenso das Ausreissen von Neophyten und Problemunkräutern.
Derweil ackert sich die Seniorchefin im Garten ab, legt Beete an und macht den Boden urbar. Sie hegt und pflegt die Geranien vor den Fenstern und lässt den Hof von ihrer kreativen Ader profitieren. Steht sie nicht im Garten, steht sie in der Küche. Sie bäckt die leckerste Wähe und die besten Holzofenbrote. Verwöhnt die Familie mit exquisiten Kuchen und den besten Konfitüren der Welt. Hagenbuttenkonfi – welche Nifliarbeit. Manchmal sitzt sie mit dem Seniorchef hoch oben im Baum und pflückt Kirschen. Oder sie schichtet die abgesägten Äste zu Haufen. Vieles läuft Hand in Hand. Wie auf so vielen Höfen.
Heute packe ich den Traktor und tuckere aufs Feld. Dort lade ich die fein säuberlich geordneten Asthäufchen auf. Plötzlich muss ich innehalten und diese lange Reihe brauner Haufen betrachten. Mit einem Schlag wird mir gewahr, was für ein Glück wir haben. Wir sind unglaublich privilegiert, so viel Hilfe zu erhalten. Es ist ein Unterschied, ob diese Äste nur noch aufgeladen werden können oder ob man alle Vorarbeiten auch noch tätigen muss.
Ich stehe zwischen den Bäumen und frage mich, wer es macht. Wer macht all das, wenn sie nicht mehr da sind. Ist dann schon die nächste Generation am Ruder? Sind wir dann die rüstigen Senioren, die den Jungen helfen? Ich weiss es nicht. Aber ich weiss, dass mich eine tiefe Demut ereilt.
Ja, manchmal knistert es im Gebälk. Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Und doch, unter dem Strich, sind wir zufrieden und unglaublich dankbar. Nichts ist selbstverständlich und darüber sollte man sich viel öfters im Klaren sein.