Links Beitrag: Inklusion statt Separation

Sowohl das Diverse in der Landwirtschaft als auch jenes in der Bildung beschäftigen mich. «Inklusion ist kein Luxus, Inklusion ist ein Menschenrecht», sagt die Behindertenaktivistin Gudrun Kellermann*. Dieser Meinung bin ich auch.

Es sträubt mir die Nackenhaare, wenn wir im Grossen Rat Vorstösse behandeln, die ab 10 Prozent Kindern mit Förderbedarf diese separieren wollen. Ja, wir brauchen Lernorte ausserhalb der Regelklasse. Wir haben zu wenige davon. Trotz Neuressourcierung und mehr Spielraum fehlen an vielen Orten die Ressourcen, um solche Lernräume zu schaffen. An den Schulen fehlen nicht nur finanzielle, sondern auch personelle Ressourcen. Das ist eine Herausforderung. Aber eine 10 Prozent-Marke zu setzen, um Schülerinnen und Schüler zu separieren, erscheint mir dennoch ein ziemlich abenteuerlicher Gedanke. Wie sollten diese 10 Prozent bemessen werden? Welche Kinder müssten eine Klasse verlassen? Wohin würden sie separiert? Wer soll das bezahlen? Für die Etablierung neuer Sonderschulen oder alternativer Lernorte fehlen uns zudem die finanziellen und die räumlichen Möglichkeiten.

Im Aargauer Bildungsbericht 2023 steht: «Hingegen ist ein Wechsel aus einer Sonderschule in eine Regelklasse eher selten, was bedeutet, dass eine Einteilung in eine Sonderschule die Bildungslaufbahn der Kinder und Jugendlichen nachhaltig prägt» (Bundesamt für Statistik BFS 2021). Im Bereich Sonderpädagogik ist zu lesen: «Mit dem Anstieg separativ beschulter Schülerinnen und Schüler werden auch die von Anfang an vorhandenen Unterschiede in Bezug auf das Geschlecht und den Migrationshintergrund grösser» (Lanners**, 2021). Diese Aussagen würden also die positiven Effekte, die eine Separation haben sollte, widerlegen. Eine Analyse des BSF zeigt, dass rund 42 Prozent der Kinder der Primarstufe einmal in einem separativen Unterricht waren und dann wieder in die Regelklasse integriert wurden. Einmal separiert, heisst also nicht immer separiert. Bei all den Kindern mit Förderbedarf ist aber eine Gruppe noch nicht berücksichtigt, die der Verhaltensoriginellen. Sie würden in den Klassen bleiben. Ehrlich gesagt hat mich persönlich diese Gruppe während meiner Lehrtätigkeit mehr beschäftigt als alle anderen miteinander.

Tatsache ist: Wir haben Herausforderungen in den Schulen. Diese dürfen nicht kleingeredet werden. Aber ist nicht die Schule ein Abbild unserer Gesellschaft? Ist es richtig, integrativ oder inklusiv beschulen zu wollen mit einem Schulgesetz aus dem Jahr 1981? Wäre es nicht eine Überlegung wert, sich Schulen anzuschauen, die einen guten Umgang ,mit dieser Thematik gefunden haben, um von ihnen zu lernen?

Es ist mir ein grosses Anliegen, dass alle Kinder bestmöglich beschult werden und profitieren können, ohne bereits in der Volksschule einen Stempel aufgesetzt zu bekommen. Wir haben einen Fachkräftemangel. Es muss in unser aller Interesse sein, dass wir motivierte, starke Jugendliche in die Berufslehren entlassen können. Sie sind unsere Zukunft. Das gelingt nur mit einem inklusiven Schulsystem und mit ausreichend Ressourcen.

 

*Gudrun Kellermann ist von Geburt an gehörlos und körperbehindert. Sie arbeitet an der TU Dortmund im Projekt AKTIF (Akademiker:innen mit Behinderung in die Teilhabe- und Inklusionsforschung). Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören DisabilityStudies und Teilhabe.

** Dr. Romain Lanners ist Direktor für Sonderpädagogik an der Stiftung Schweizer Zentrum für Heil- und Sonderpädagogik.

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